Fleisch ist meine Beilage…
Der Anteil an vegetarisch/vegan lebenden und genießenden Menschen steigt. Darauf findet die Gastronomie immer mehr und immer bessere Antworten. Doch was ist eigentlich mit den so genannten „Normalessern“ und den „Flexitariern“? Das Zauberwort lautet Gemüseküche.
– ein Gast-Blog von Jan-Peter Wulf
Warum soll Gemüseküche bitte ein Zauberwort sein? Ganz einfach: Es umgeht den Begriff vegetarisch bzw. vegan – der bekanntlich nicht jedem/jeder mundet. Und es erzielt dabei ziemlich genau dasselbe, nämlich die Reduktion des Fleischanteils bzw. des Anteils tierischer Produkte in den Speisen. Oder umgekehrt: Es erhöht den Anteil pflanzenbasierter Zutaten.
Wir alle wissen es längst: Genau diese Veränderung hin zu mehr pflanzlichen Produkten müssen wir erzielen, wenn wir nachhaltiger, klimafreundlicher, aber auch gesünder kochen und essen wollen – was wiederum Teil der gesellschaftlichen Verantwortung ist, in der wir stehen. Auch das Gastgewerbe. Gleichzeitig will man denjenigen, die gerne Fleisch essen, ja nicht wirklich etwas wegnehmen oder aufzwingen, vor allem in einer genussorientierten Umgebung, wie sie ein Hotel oder ein Restaurant darstellt bzw. darstellen sollte. Und Menschen, die nun mal keine Vegetarier oder Veganer sind – fühlen die sich von den unter „vegetarischen/veganen“ aufgeführten Gerichten auf der Karte wirklich angesprochen? Vielleicht zum Teil ja, gefühlt aber eher: nein.
Das Ziel ist, einen „nudge“ zu erzeugen. Einen Schubs im Sinne der Verhaltensökonomik, der das Verhalten beeinflusst, ohne mit Verboten daher kommen zu müssen. Und welcher Schubs könnte besser sein als „das ist leckerer“? Und hier kommt das Prinzip der Gemüseküche nun vollends zum Tragen: Es geht darum, die alte Trias aus Fleisch, Sättigungsbeilage und Gemüse aufzubrechen – und das Grüne ins Zentrum des Tellers zu stellen. Das gewisse Etwas daran: Das funktioniert nur, wenn das Gemüse richtig gut schmeckt. Und wer wiederum weiß am besten, wie man das hinbekommt? Auftritt für die gute Gastronomie! Passionierte wie professionelle Köche wissen, wie wunderbar sich Gemüse zubereiten lässt, wie es je nach Garmethode ganz unterschiedliche Aromen produziert – und allein die Vielfalt der Gemüsewelt ist nahezu unerschöpflich.
Frische, hochwertige Ausgangsprodukte, das Gute bewahrend und genussvoll zubereitet – der erste Schritt besteht also darin, vom Gemüse her zu denken. Und dann die Sättigungsbeilage, schon der Begriff klingt unappetitlich. Auch hier sollte umgedacht werden: Wie lassen sich Getreide und Pseudogetreide, Hülsenfrüchte (by the way: gesund, günstig, super zu lagern), und Co. mit dem Gemüse, verfeinert mit Kräutern und Gewürzen, so inszenieren, dass daraus schon ganz ohne Fleisch und Fisch ein richtig leckeres Gericht entsteht?
Man kann sich hier durchaus an der Erfolgsformel der Bowls orientieren: Rohes und gekochtes Gemüse + Salat plus Reis, Couscous, Nudeln, (Süß-)Kartoffeln + Kräuter, ein paar Kerne als Topping + als Proteinlieferant z.B. Tofu oder eben Fleisch oder Fisch. Das Prinzip lässt sich von der Schüssel auf den Teller übertragen: Ein Gericht der Gemüseküche kombiniert und nutzt die Vielfalt des Pflanzlichen und macht das tierische Produkt zur optionalen Beilage. Heißt: Man kann ein Gericht in verschiedenen Ausführungen bestellen oder sich sogar individuell zusammenbauen – und wählt wahlweise Fleisch oder Fisch dazu.
Dass dieses eben nicht nur für hippe Schüsselgerichte wie Bowls, Poké und Co. geht, zeigt zum Beispiel die Karte des Brlo Brwhouse in Berlin, dem Restaurant einer (modernen) Brauerei. Auf der Webseite des Betriebs ist zu lesen: „Der Star auf der Karte ist Gemüse – fermentiert, eingelegt, gesmoked, auf Salz oder in Salzkruste gegart. Denn für uns ist Gemüse nicht gleich Gemüse und hat das Hauptaugenmerk in der Küche eindeutig verdient. In den Smoker kommt auch herrliches Fleisch aus der Region, spielt aber eher eine Nebenrolle.“ Nebenrolle im Sinne: Regional, hohe Qualität, aber nicht Zentrum der Gerichte. Fleisch ist Beilage, ein optionales, und wenn gewählt, herzhaft leckeres Extra. Es lässt sich mit dem Entzug seiner Selbstverständlichkeit sogar aufwerten: Wenn man es bestellt und sich dafür entscheidet, macht man es umso bewusster. Genau diese Rolle sollte Fleisch (und sollte Fisch) im Kontext der Gemüseküche spielen.
Also: Es geht nicht darum, Fleisch einfach wegzunehmen, sondern es dazu zu tun, wenn es gewünscht wird. Der Teller sollte aber eben auch ohne hervorragend funktionieren. Schaut man sich die Speisekarten landauf, landab jedoch an, so ist da noch recht viel Luft nach oben. Was übrigens auch auf viele vegetarische Gerichte zutrifft, so wie sie heute auf den Karten stehen. Probieren Sie es doch einfach mal aus: Für die neue Gemüseküche gibt es mittlerweile eine enorme Menge an Kochbüchern. Zum Beispiel jene von Yotam Ottolenghi, dem Star der Levante-Küche (die auch eine Gemüseküche ist). Aber auch sehr viele Bücher, die sich den grünen Schätzen unserer Regionen widmen. Gemüseküche ist, klar, auch saisonal-regionale Küche. Und weil jede Region ein bisschen anders ist, ist auch jede Gemüseküche ein bisschen anders!
Noch ein Trend-Tipp: Sogar ein Burger mit Fleisch kann im Sinne der Gemüseküche „upgegradet“ werden. Das nennt sich „blended burger“, kommt wie so oft aus den USA und verbindet Rindfleisch mit Pflanzlichem, z.B. herzhaftem Portobello-Pilz, in dem das Patty aus beidem geformt und gebraten wird, ungefähr im Verhältnis zwei zu eins. Das ist keine Mogelpackung, sondern – wegen der zusätzlichen pflanzlichen Aromen – sogar ein geschmacklicher Mehrwert für den Gast, der ganz nebenbei den Fleischverbrauch reduziert.
Jan-Peter Wulf ist Fachjournalist für Gastronomie, lebt in Berlin und betreibt den Gastro-Blog www.nomyblog.de, wo du noch mehr Ideen für die Gastronomie findest.
Lieber Jan-Peter, vielen Dank für deinen Beitrag. Wir haben jetzt lust auf eine leckere Gemüse-Bowl. 🙂